"So begegnete ich also meinem ersten Chinesen.
Ich fand, er sah gar nicht wie ein Chinese aus.
Aber das war auch kein Wunder.
Ich war ja vorher nie einem Chinesen begegnet."
Was für den japanischen Schriftsteller Haruki Murakami gegolten haben mag, gilt so sicherlich nicht für Margret Nielsen, der das Antlitz der Chinesen aus vielen anderen Bildern bekannt gewesen ist. Dass man allerdings nicht vom Aussehen "des Chinesen an sich" sprechen kann, findet sich mit überraschender Klarheit in der Serie ihrer Fotografien, mitgebracht als optische Fundstücke von Reisen aus den vergangenen drei Jahren, die in ihrer Vielfalt vermutlich nicht nur Murakami verblüfft hätten.
China, ein Land mit einer Fläche von mehr als 9,5 Millionen Quadratkilometer und einer Bevölkerung von fast 1,3 Milliarden Einwohner ist ganz und gar kein Einheitsstaat. Das Reich der Mitte präsentiert sich hier als Schwellenland, in den Fotografien sind die Gegensätze von arm und reich, Stadt und Land deutlich spürbar. Wobei sich die Vielfältigkeit der Menschen gerade in den nicht urbanen Zentren der Nation zeigt, in Gesichtern, die einen glauben machen, man befinde sich bereits im Kaukasus oder Osteuropa, nur um kurz darauf wieder erinnert zu werden, dass man sich ganz und gar in China und nirgendwo sonst bewegt. China präsentiert sich hier als ein Land zwischen Tradition und Moderne, der "große Vorsitzende" Mao Tsetung bleibt weiterhin präsent, im Hintergrund auf Plakaten in Straßencafés, als Statue auf öffentlichen Plätzen, am Tiananmenplatz in Peking sowieso.
Die westeuropäische Neugierde am Fremden wird augenblicklich in ihr Gegenteil verkehrt, gleichsam spiegelbildlich ist man das Andere durch die Augen der Fotografin plötzlich selbst und findet sich im Mittelpunkt des Interesses in der Millionenstadt ebenso wie in einem kleinen Dorf. Hier wie da öffnet sich im Hintergrund eines Restaurants eine Tür, Köpfe werden herausgestreckt, neugierige Blicke gewagt, kichernd getuschelt, ob dieser unbekannten Europäerin, die dort sitzt. Und man meint, die sähe doch gar nicht wie eine Europäerin aus.